WUNDERBARE JAHRE
Dieser Text hat es aus Zeitgründen nicht in die "1992" Ausgabe geschafft. Lust auf die Neunziger bekommen? Dann holt Euch die "1992" Ausgabe hier.
Text & Interview: Jan Hieronimi
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Wenn Barcelona 1992 der Funke war, der die deutsche Basketball-Community anzündete, dann war jump ran der Sauerstoff, der das Feuer nährte. Kurz, aber heftig, in den Jahren 1993 bis 1995, in denen es der beste Sport der Welt in den Sendeplan eines Mainstream-Senders geschafft hatte, wenn auch nur am Sonntag- bzw. Samstagvormittag. Mit diesem Klischee eines New Yorker Hinterhofs als Set, und Lou Richter vor der Kamera, der seitdem in den kollektiven Jugenderinnerungen einer ganzen Fan-Generation wohnt. Richter, langjähriger Radio- und Fernsehmoderator, einst in Göttingen Basketballer mit Spezialgebiet Defense, der sich gegnerischen Top-Scorern in der Regionalliga mit den Worten „Today: Aua!“ vorgestellt hatte – und nun Basketball einer breiten Öffenlichkeit vorstellen durfte.
Zu verdanken hatte Basketball-Deutschland diese prominente TV-Präsenz natürlich dem Hype um das Dream Team – aber nicht nur. Und es war ausgerechnet König Fußball, der den entscheidenden Assist lieferte, dank dem die NBA ein Jahr nach Barcelona ins sat.1-Programm rutschte. Denn Fußball war der Grund, warum Reinhold Beckmann und eine Delegation der Sportredaktion im Sommer 1993 die USA bereisten, die ein Jahr später die Fußball-WM ausrichten würden. Zwischen den zahlreichen Besuchen von Locations schlug einer der Gastgeber vor, sich abends live vor Ort in Chicago die NBA-Finals anzuschauen. Die Bulls gegen die Phoenix Suns, Jordan und Barkley, Threepeat oder Krönung von Sir Charles? Glück für uns alle, dass die Reisegruppe Spiel drei erwischte, eines der besten Finalspiele aller Zeiten, mit dreifacher Verlängerung und 44 Punkten für MJ. „Und dann hieß es hinterher: Wahnsinn, ist das immer so? Ja, das ist immer so. Und dieser Jordan? Ja, der spielt immer so. Schöne Sache, kann man da Rechte kaufen?“
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„Wenn Leo Kirch Anfang der Neunziger was wollte,
dann hat er das auch gekriegt, das war klar“
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Und so kehrte die sat.1-Crew aus den USA mit der Mission zurück, die NBA - bisher versteckt auf dem Nischensender vox - in den Mainstream zu bringen. „Wenn Leo Kirch Anfang der Neunziger was wollte, dann hat er das auch gekriegt, das war klar“, sagt Richter. Im Spätsommer begann die Konzeption des neuen Formates, das natürlich nicht zuletzt von Superstar Michael Jordan leben sollte. Weswegen es eine kleinere Katastrophe war, als Richter im Urlaub in den USA die Nachricht über den Screen flimmern sah, dass Michael Jordan seine Karriere beendet habe. „Wir waren natürlich geschockt. Das war ja der, an dem alles andere festgemacht war“, so Richter.
Abschütteln, weitermachen: Trotz – oder wegen? – des Fehlens von Jordan wurde jump ran ein Format, das seiner Zeit voraus war. Mit Highlights aus einem Spiel vom Vortag, mit topaktuellen News aus der Liga, weil jemand aus der Redaktion schon damals Internetzugang hatte (aber lange verschwieg, auf welch geheimnisvollem Weg er all die Infos erhalten hatte). Mit Beiträgen über die coolen Teams, die Magic, die Hornets, die Knicks. Aber eben auch mit lauter wilden Ideen und Außendrehs, die heute nach YouTube-Format klingen: mit Public Enemy zog Richter über die Reeperbahn, auf den Schultern einen Basketballkorb, auf den unterwegs geworfen wurde. Besuchte Skateboard-Ikone Titus Dittmann in Münster. Flog zu Jordans Rücktrittszeremonie in Chicago. Drehte live mit Shaq, Penny oder Barkley.
Annähernd zweistellige Einschaltquoten, sechsstellige Zuschauerzahlen konnte jump ran vorweisen. Unvorstellbar heute, wenn Deutschland nicht gerade Gold im Öffentlich-Rechtlichen gewinnt. Aber zu wenig für den Geschmack der Sender-Granden, die sat.1 „mindestens zur Nummer drei in Deutschland machen wollten“, so Richter. Und weil diese wilde NBA-Sendung unter dem Senderschnitt lag, war das Abenteuer 1995 zu Ende. Stattdessen flimmerten Samstagsmorgens Filme über den Sender, „die Leo Kirch noch herumliegen hatte.“ Entsprechend frustriert, geriet die letzte Sendung zu einer Mischung aus Abschiedsparty und Mittelfinger – und die NBA verschwand wieder im Spartenprogramm. Was wohl der Grund ist, warum jump ran im kollektiven Gedächtnis der „90s Kids“ weiterlebt bis heute.